„Space is only noise if you can see” Nicolas Jaar
Der Wald: Zusammenspiel aus Leben und Ruhe
Der Wald ist voller Leben und voller Ruhe. Manchmal schlägt ein Specht gegen den Baumstamm, Ameisen bahnen sich ihre Wege, es raschelt hier und da im Gebüsch und selten steigt mal eine Vogelschar in die Luft, mit Glück treffen wir auf ein Reh. Der Wald steht nie still, ist immer in Transformation, nirgendwo sonst können wir die vier Jahreszeiten so gut beobachten wir hier. Und doch ist es ebenfalls ein Ort der Ruhe, ein Ort der Erholung und vielleicht ist es genau diese Komposition aus Leben und Ruhe, die den Wald zu einem so besonderen Ort machen und das Waldbaden so wirkungsvoll. Waldbaden bedeutet nämlich in Leben und Ruhe zu baden.
Die Bedeutung des Waldes für Mensch und Natur
Der Wald ist Quelle unseres Lebens. Er ist Lebensraum und Nahrungsquelle, er speichert Kohlenstoff und reinigt unsere Luft und unser Wasser. Auch auf das Klima hat er eine regulierende Wirkung, denn durch das stabile Mikroklima, das er erzeugt, schützt er vor extremen Wetterereignissen. Wenn der Wald das mit dem Klima, mit der Natur anstellen kann, muss er dann nicht auch eine besondere Wirkung auf uns haben?
Waldbaden: Eine Praxis mit Tradition und Wirkung
In den 80er Jahren wurde in Japan jedenfalls das Waldbaden gesundheitlich verordnet. Die Praxis des „Shinrin Yoku“, so heißt Waldbaden auf Japanisch – 森林浴 (Übersetzung: 森 Shin = großer Wald, 林 rin = kleiner Wald, 浴 Yoku = Baden) – ist mittlerweile weltweit im Trend. Kein Wunder, denn die positive Wirkung auf Körper und Geist ist nicht nur spürbar, sondern auch messbar. So hat zum Beispiel eine japanische Studie aus dem Jahr 2015 gezeigt, dass Probant:innen, die sich in einer Waldumgebung aufhielten, erheblich niedrigere Cortisolwerte sowie einen niedrigeren Puls hatten als diejenigen in urbanen Räumen. Cortisol ist das Hormon, das bei Stress ausgeschüttet wird. Waldbaden hilft aber nicht nur bei der Stressbewältigung, sondern lindert auch psychische Erkrankungen.
Ruhe als Schlüssel für körperliches und seelisches Wohlbefinden
Unser Körper und unser Geist sind nicht dafür geschaffen, konstant in einem Zustand der Überstimulation zu leben. Ruhephasen sind notwendig, um uns zu regenerieren, unser Nervensystem zu beruhigen und unsere psychische Gesundheit zu stabilisieren. Chronischer Lärm und ständige Ablenkungen führen nachweislich zu Stress, Burnout und Konzentrationsschwierigkeiten. Im Gegensatz dazu ermöglicht uns Ruhe, die Dinge klarer zu sehen, bewusster zu handeln und tiefere Einsichten zu gewinnen. Sie wirkt wie ein natürlicher Filter, der es uns ermöglicht, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Wir können uns unserem Alltag kaum entziehen, aber die Suche nach persönlichen Orten der Ruhe und wenn wir diese regelmäßig aufsuchen, bringen uns sicher mehr ins Gleichgewicht. Ruhe findet vor allem in unserem Inneren statt. Es ist die Fähigkeit, den Kopf auch mal auszustellen. Häufig bedingen sich Gegensätze und in diesem Fall ist Bewegung sicher auch Bedingung für Ruhe. Wenn wir den ganzen Tag nur in engen Räumen hocken und auf Bildschirme schauen, wird das mit der Ruhe schon schwieriger.
Die heilende Kraft der Natur: Terpenoide und Waldluft
Im Wald können wir die Hektik und Reizüberflutung des Alltags hinter uns lassen, uns mit der Natur verbinden, frische Luft einatmen und den Vögeln zuhören. Zwischen Kiefern und Fichten, auf Moos und Lichtung fühlt es sich nun mal anders als zwischen Autos, Hochhäusern und Menschenmassen. Anstatt auf Hauswände zu schauen, blicken wir im Wald in die Weite, statt Abgase, steigt der Duft von Baum und Moos in die Nase. Besonders tief einzuatmen, lohnt sich in der Nähe von Fichte, Kiefer und Tanne, die besonders heilsam sind, weil sie Terpenoide freisetzen. Das sind ätherische Öle, die das Immunsystem stärken, Entzündungen reduzieren und das Stresshormon Cortisol senken und sie riechen gut. Es lohnt sich also, tief durchzuatmen.
Ruhe oder Stille: Was wir im Wald wirklich suchen
Im Wald ist es ruhig und im Vergleich zur Stadt ist es im Wald auch recht still, aber dennoch ist Ruhe nicht gleich Stille. Wenn Stille die Abwesenheit nahezu aller Geräusche meint, meint Ruhe die Abwesenheit störender Geräusche. Ruhe meint einen Zustand ohne Hast und Hektik, Ruhe bedeutet Besonnenheit und Achtsamkeit, Ruhe ist das Gegenteil von Stress. Es erlaubt uns Kraft zu tanken, uns zu erholen, zu entspannen und uns besser zu konzentrieren. In Momenten von Ruhe hören wir uns selbst besser, kann sich der Fokus von außen nach innen schieben. Der Klang der Stille weitet sich aus und die Ränder werden meeresgleich. Deshalb heißt es sicher auch Waldbaden. Es ist ein Baden in Ruhe, ein Sich-Treiben-Lassen in den unterschiedlichen Wahrnehmungen und ein In-Sich-Hineinhören.
Waldbaden als ganzheitliche Erfahrung
Dafür braucht es Zeit und es sollte keine Uhr darüber entscheiden, wann es mit dem Baden vorbei ist, sondern das Gefühl. Und damit Zeit und Raum vergessen werden können, sollte auch das Handy nicht angefasst werden. Es geht um das Wahrnehmen mit allen Sinnen. Waldbaden heißt die Geräusche des Waldes, den Duft, die Farben und die Luft wahrnehmen. Es kann allein und gemeinsam gebadet werden, je nach dem und beides ist natürlich heilsam. Gemeinsam mit anderen Menschen Ruhe zu finden ist die Kunst und vielleicht auch der Schlüssel für ein besseres Miteinander.
Im Einklang mit der Natur
Waldbaden ist weit mehr als nur ein Spaziergang im Wald. Es ist eine ganzheitliche Erfahrung, die heilend auf Körper und Geist wirkt, in Gemeinschaft und allein. Inmitten von Bäumen finden wir tiefe Ruhe und vielleicht auch wieder mehr Wertschätzung für die Natur und ihren positiven Einfluss auf uns.